Montag, 27. August 2018

Ein neuer Mensch

Wie schön es sei, sich mit mir zu unterhalten, lässt C mich immer wieder wissen. Ich nicke dazu und versuche, nicht zu geschmeichelt auszusehen. Wir sitzen am Ufer des Kanals und beobachten das vorbeitreibende Ensemble an Großstadt-Kleinmüll. Dem Wetterumschwung sei Dank ist es während dieses Sonnenuntergangs bereits deutlich kühler, als wir eine Woche zuvor noch für möglich gehalten hätten. C trägt eine langärmelige Weste, ich eine sachte Gänsehaut auf meinen freiliegenden Unterarmen.
"Du bist wie ein neuer Mensch", sagt sie zu mir und schwenkt ihren Blick, der bislang auf das Wasser gerichtet war, zu mir und zeigt mir ein Lächeln, das zum Ausdruck bringen soll, dass ich diese Äußerung als Kompliment verstehen darf. Ich bin nicht sicher, ob ich das möchte. Für mich klingt es fast, als wäre der alte Mensch, der ich früher war, keiner gewesen, mit dem eine Unterhaltung schön gewesen war.
C lacht und als ich sie frage, was so komisch sei, antwortet sie: mein Stirnrunzeln. Ich sähe immer noch aus wie einer, der sich über alles zuviel Gedanken macht. Sie scheint das lustig zu finden; nach wenigen Momenten muss ich auch grinsen, denn irgendwie stimmt es ja.

Wir verbringen den restlichen Abend damit, schlechte Cocktails zu trinken und uns an die Schulzeit zu erinnern. Ein Thema, von dem ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, ist, als C auf ihre Zukunftspläne zu sprechen kommt. Sie erzählt von der Karriere, an der sie arbeitet, und den Familienplänen, die sie hat. Mein Gesichtsausdruck, so meine ich, ist neutral, aber C merkt mir die Schweigsamkeit natürlich an. Irgendwann fragt sie mich, ob ich keine Pläne dieser Art habe und was ich mir wünsche, und ich seufze innerlich. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Worte jetzt äußern muss, aber es wird irgendwie nicht einfacher, sondern nur ermüdender mit jeder Wiederholung. Ich schaue ihr nicht in die Augen, sondern rühre konzentriert in meinem Cuba Libre, als ich es ihr sage.
"Ich kann leider keine Kinder bekommen."
Mit einem Seufzer hinterher gewinne ich etwas Zeit und hebe dann den Blick, um in Cs erschrockenes Gesicht zu schauen. Ich blinzle, weil sie nicht erschrocken schaut, sondern nur aufmerksam. Ich bin nicht sicher, ob sie verstanden hat, also rede ich weiter. Gehe ins Detail, erzähle von den drei verschiedenen Untersuchungen, die gemacht wurden, und was die Ergebnisse für eine ernüchternde Prognose bereithielten. C lässt mich ungestört reden, bis ich geendet habe. Erst dann antwortet sie leise und sagt, dass es ihr Leid tue. Sie will wissen, wie ich mich damit fühle, und ich schnaube amüsiert.
"Es ist okay. Und selbst wenn nicht, was soll ich schon machen."
Und dann macht C was Wunderbares: sie wechselt das Thema, und bald grinsen und lachen wir wieder. Ich fühle mich gleichzeitig verstanden und aber auch so, als würde ich nicht zu lange in der ernsten Situation verweilen müssen. Sie macht es mir leicht, mich ablenken zu lassen, und gibt mir genug Vorwand, über Blödsinn zu sprechen statt über wichtige Dinge.

Als wir uns mit einer Umarmung verabschieden am Ende einer langen Cocktailrechnung, sagt sie mir noch etwas, was einfach schön war: dass ich trotz aller Veränderungen noch ganz der Alte sei. Diesmal weiß ich, dass es ein Kompliment ist, und muss lächeln, als ich am Weg nach Hause immer wieder an diese Worte denke.

Dienstag, 9. Januar 2018

Die erste Sitzung

"Waren Sie schon einmal in Therapie?", beginnt W das Gespräch offiziell, nachdem die nervigen Vorstellungsfloskeln aus dem Weg geräumt sind. Ich runzle meine Stirn leicht, während ich weit hinten in meinem Gedächtnis krame.
"Nein, aber in der Volksschule verbrachte ich einige Wochen lang immer wieder Zeit bei einer Verhaltensbeobachterin. Zählt das?"
W legt den Kopf schief und wirkt jetzt etwas lebhafter. 
"Wirklich? Wie haben Sie sich dabei gefühlt?"
Ich drehe den Kopf zu ihm und mein Gesichtsausdruck ist so blank, dass er darauf eine Geldsumme eintragen und ihn bei der Bank einlösen könnte.
"Keine Ahnung. Ich war ein Kind und das ist fast 25 Jahre her."
"Oh", macht W enttäuscht und senkt den Blick, um sich Notizen zu machen. Ich spüre, wie ich meinen Mund verziehe. Worüber macht der sich jetzt schon Notizen? Es sind keine fünf Minuten vergangen und ich merke bereits, dass ich so unruhig werde, dass ich mit meinen Zehen zu wippen beginne.
"Was hat Sie bewogen, mich aufzusuchen?", will W nun wissen. Ich muss ein Augenrollen unterdrücken, denn W rattert mit seinem Wechselspiel geschlossene Frage – offene Frage den Ablauf aus dem Lehrbuch hinunter. Trotz meines Widerwillens, überhaupt hier zu sein, empfinde ich einen Anflug von Eitelkeit und entschließe mich, W zu beweisen, dass ich ganz und gar kein Lehrbuch-Fall bin und es bei mir nicht genügen wird, in der Fachliteratur zu blättern. Bin ja kein Studienobjekt!
"Das weiß ich auch nicht so genau. Vermutlich Einfluss von außen. Und ich weiß mir auch selbst nicht mehr anders zu helfen."
Na bitte. Nicht unauthentisch, aber vage genug, um ihm keine konkreten Anhaltspunkte für seinen weiteren Fragenkatalog zu geben. W soll sich jede Information brav erarbeiten, die ich ausspucke, immerhin zahle ich nicht wenig dafür, hier zu sein.
"In welcher Hinsicht, denken Sie, benötigen Sie Hilfe?"
Ich unterdrücke einen Seufzer, W bleibt die Ruhe selbst.
"Mir ist alles zuviel."
"Sprechen Sie von privat oder beruflich?"
"Ich spreche von allem."
"Ah."
Sein Stift kratzt über seinen Block. Noch mehr Notizen.
"Erzählen Sie mir von Ihrer Freizeitgestaltung."
Jetzt wird er also konkret. Ich verziehe wieder das Gesicht, denn ich merke, dass mir auf die Schnelle keine kreative Antwort einfällt, also greife ich mit spürbarem Widerwillen auf die Wahrheit zurück.
"Ich weiß nicht. Ich mache das, was viele Leute tun. Ich komme nach Hause, kümmere mich um das Notwendigste an Haushalt, und fülle meine Abende und Wochenenden ansonsten mit Zocken, Fernsehen und Freunde treffen."
Das ist natürlich etwas ausgeschmückt, ich mache im Haushalt üblicherweise noch weniger als das Notwendigste.
"Sind Sie in einer Beziehung?"
"Wieso, machen Sie auch Paartherapien?"
W ignoriert den humorvollen Schwung in meiner Antwort und lässt stattdessen wieder seinen Stift über das Papier kratzen. Notizen. Meine Augen wandern unauffällig in Ws Richtung, ganz so, als könnte ich im peripheren Blickfeld vielleicht erkennen, was er sich da gerade notieren mag. Meine Neugierde ist aufrichtig geweckt, ich würde in diesem Moment töten, um einen kurzen Blick auf den Notizblock zu erhaschen. Aber besser nicht W. Wir beide sind alleine in dem Raum und es wäre zu schwierig, es jemand anderem anzuhängen. Dennoch wandert mein Blick forschend über ihn. Er ist recht hoch gewachsen, aber von dürrer Statur. Ich hingegen bin ein breitschultriges Vieh, das gut im Futter liegt, und es steht fest, dass ich ihn mit ausreichender Motivation in zwei Teile brechen könnte wie eine Selleriestange. Ob er wohl auch den gleichen befriedigenden Knacks dabei machen würde?
"Sie sind also zur Zeit nicht sexuell aktiv?"
Natürlich nicht!

"Natürlich schon!"
"Würden Sie sagen, dass Sie Probleme damit haben, das... Potential Ihrer Manneskraft zu entfalten?"
Nein, Kumpel, aber deine Eier sind in Reichweite meiner Faust, also könntest du dieses Problem gleich haben, wenn du weiter solche Fragen stellst!
"Nein, eher nicht."
"Ah."
Notizen. Fünf Minuten auf der Couch und das Gespräch geht mir bereits viel zu sehr in die Privatsphäre.
"Sie haben angegeben, dass Sie übermäßig viel Zeit mit Videospielen verbringen. Welche Emotionen Ihres Alltags verarbeiten Sie, wenn Sie in die Spielewelt abtauchen?"
Häää?? Ich will Monster kaputthauen und Zombies wegpusten, was hat das mit Emotionen zu tun? Ich entscheide, meine Verwirrung in einer offenen Antwort zu verpacken.
"Ähm.. alle?"

"Interessant."
Kratz, kratz.
So geht das noch die restliche Stunde über. W fragt immer wieder diversen Nonsens nach, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, und wenn er merkt, dass ich unwillig werde, wechselt er das Thema. Wie ein zu fetter Kerl in der Ubahn streift er überall so sehr an, dass es lästig wird, aber verweilt nicht lange genug, dass man ihn anzublaffen beginnt deswegen. Jedes Mal, wenn ich denke, dass ich ihm jetzt ein gehöriges Das geht aber nun wirklich zu weit! entgegenschleudern kann, entwindet er sich dem Gesprächsthema wie ein schlüpfriges Wiesel und spricht eine neue Angelegenheit an. Immer zwischendrin unterbrochen von dem Kratzen seines Stifts. Am Ende der Stunde bin ich genervt, W wirkt zufrieden mit sich.
"Ich finde, wir sollten uns wiedersehen", schließt er die Unterhaltung. Ich nicke zähneknirschend und hoffe, dass er sich für das nächste Mal dickere Kissen besorgt. Denn wenn das so weitergeht, werde ich hier drin definitiv eine Wutschrei-Therapie brauchen.

Freitag, 23. Juni 2017

Samstag, 23. Januar 2016

decal wishlist no. 3

boba arm print (2012 design)

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